Zum Inhalt springen

Ein anonymisiertes Interview aus dem GKV-Bereich

Lange haben wir überlegt, wie sich auch mal ein kritischer Blick auf die Rolle der Gutachtenden anstellen lässt. Im Ergebnis ist ein Text entstanden, der auf einem Interview mit einer Kollegin aus dem Geschäftsbereich GKV basiert. Nichts ist erfunden oder hinzugedichtet, außer ihr Name.

Wenn Wiebke, seit knapp zwei Jahren ärztliche Gutachterin beim Medizinischen Dienst, zu den Versicherten nach Hause kommt, trifft sie auf Menschen, die mit schweren Erkrankungen oder Einschränkungen umgehen müssen. Diese Besuche bringen stets neue Herausforderungen mit sich. Besonders Begutachtungen von Kindern lösen schnell tiefgreifende Emotionen aus.

Wiebke hat im Jahr 2024 schätzungsweise 15 Kinder und Jugendliche begutachtet. Im Zentrum steht dabei immer die Frage, welche Unterstützung notwendig ist, damit die jungen Versicherten bestmöglich am Alltag ihrer Gleichaltrigen teilhaben können.

Was steht am Anfang der ärztlichen Begutachtung eines Kindes?

„Zunächst gilt es, einen Termin zu finden und diesen mit allen Beteiligten – Schule, Eltern und betreuenden Fachkräften – abzustimmen. Die Begutachtung findet oft in der gewohnten Umgebung der Kinder statt – sei es in der Kita, der Schule oder zu Hause. Oft wissen weder die Kinder noch die Eltern sofort, welche Rolle ich in diesem Moment einnehme und vermutlich wirke ich auf sie im ersten Moment wie ein Fremdkörper. Ganz klassisch stelle ich mich dann zuerst vor und beginne die Anwesenden inhaltlich auf die bevorstehende Begutachtung vorzubereiten. Ich ermutige alle Anwesenden bei Unklarheiten mir offen Ihre Fragen zu stellen.“

Was sind die Herausforderungen im Laufe der Begutachtung vor Ort?

„Besonders Eltern begegnen solchen Begutachtungen häufig mit Skepsis oder Unsicherheit. Nicht selten kommt es zu Frustration oder sogar Wut, da nicht immer unmittelbar ersichtlich ist, warum ein Gutachten notwendig wird, obwohl eine ärztliche Diagnose bereits vorliegt. Hinzu kommt, dass das Kind für den Termin vielleicht auch mal aus der Schule genommen werden muss. In diesen Momenten ist es entscheidend, Vertrauen aufzubauen. Ich nehme die Sorgen der Eltern ernst und erläutere bei Bedarf jeden einzelnen Schritt. Grundsätzlich wird in diesen Gesprächen sehr oft deutlich, welche Herausforderungen die gesamte Familie tagtäglich bewältigt.“

Gibt es Aufgaben, die du über die einzelne Begutachtung hinaus wahrnimmst?

„Manchmal zeigen sich in Begutachtungen auch Lücken in den bestehenden Richtlinien, beispielsweise, wenn sich gesetzliche Vorgaben verändert haben. In solchen Fällen setzt sich der Medizinische Dienst aktiv für Verbesserungen ein, weist auf mögliche Anpassungen hin und bietet seine Expertise gegenüber den Krankenkassen oder der Politik an. Doch Veränderungen lassen sich nicht von heute auf morgen umsetzen. Bis dahin sehe ich es als meine Aufgabe, innerhalb der geltenden Vorgaben bestmögliche Lösungen für die Versicherten zu finden.“

Und was sind die Unterschiede zwischen deiner gutachterlichen Tätigkeit und deiner Arbeit als Ärztin?

„Nach Jahren auf einer Intensivstation, also in der Akutversorgung, musste ich mich daran gewöhnen, nicht mehr unmittelbar medizinisch helfen zu können. In der Vergangenheit gehörte es zu meinem Alltag in der Patientenversorgung, direkt einzugreifen, Behandlungen zu initiieren oder Medikamente zu verabreichen. Heute liegt mein Fokus darauf, sicherzustellen, dass die medizinische und pflegerische Versorgung angemessen erfolgt. Zudem spüre ich durch den direkten Kontakt mit den Familien und durch das tiefe Eintauchen in deren Lebensrealität meine Verantwortung – gegenüber den Versicherten, aber auch gegenüber der Gesellschaft und ich hoffe, dass ich den Erwartungen auch gerecht werde."

Sozialmedizinische Begutachtungen

Was steckt dahinter?

Sozialmedizin untersucht die Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Krankheit und gesellschaftlichen Faktoren. Ihr Ziel ist, gesundheitliche Einschränkungen auszugleichen und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Neben individuellen Aspekten betrachtet sie auch volkswirtschaftliche Auswirkungen, etwa die Kosten von Krankheit und Prävention. Durch gezielte Maßnahmen trägt sie dazu bei, Arbeitsfähigkeit zu erhalten, Pflegebedarfe zu reduzieren und soziale Sicherungssysteme zu entlasten.